Hanna Starniske 2005

30. Dezember 2005: Nach 3 Monaten Nicaragua und einem Monat Costa Rica stehe ich bibbernd an der Straßenbahnhaltestelle und warte auf meine Bahn, die mich in mein vertrautes Heim bringt. Ich bin müde, meine Augen sind trocken und schmerzen von der Klimaanlage im Flugzeug. Ich fühle mich etwas merkwürdig und muss mich wohl erst wieder ein bisschen an diese andere Welt hier gewöhnen. Die Bahn fährt an dem neuen Karlsruher Einkaufszentrum „Ettlinger Tor“ vorbei: „Willkommen im Luxus!“ Genau das denke ich auch, als ich die Wohnungstür aufschließe: „Das soll meine Wohnung sein?“ Alles kommt mir plötzlich ein bisschen nobler vor als vorher, obwohl an sich alles beim Alten geblieben ist. Das also sind meine allerersten Eindrücke bei meiner Rückkehr aus Mittelamerika. Nur 4 Monate sind vergangen, mir kommt es viel länger vor, da ich in dieser Zeit so viel erlebt habe.

Rückblick:

5. September 2005: Nun ist es soweit. Nach einer Nacht mit wenig Schlaf stehe ich mit meinem Freund und Gepäck früh morgens am Frankfurter Flughafen. Der Abschied rückt näher, so richtig wahrhaben will ich das noch nicht. Jetzt wird es ernst – meine erste große Reise in eine unbekannte Welt, deren Sprache ich nur notdürftig beherrsche. Mein Ziel: Nicaragua.

Es war schon seit längerem ein Wunsch von mir, ein Praktikum im Ausland zu absolvieren und so bin ich auf die Freundschaftsbrücke Nicaragua gestoßen. Dieses Projekt war mir von meiner ehemaligen Kirchengemeinde in Haslach bekannt.

Und dann sitze ich schon bald mit einem etwas mulmigen Gefühl im Flugzeug auf dem Weg nach Miami. Von dort aus geht es dann mit einer anderen Maschine nach Managua, der Hauptstadt von Nicaragua, weiter. Nach ca. 16 Stunden lande ich um 20 Uhr am Zielort. Carolina, die Tochter von Doña Nidia, holt mich am Flughafen ab. Eine drückend feucht- heiße Luft schlägt mir beim Verlassen des Flughafengebäudes entgegen. Aber die Klimaanlage in Carolinas Auto läuft auf Hochtouren, so dass ich gleich wieder zu meinem langärmligen Hemd greife. Wir fahren zu Carolinas Haus, wo ich die ersten Tage bleibe , um mich zu akklimatisieren.

Nach 2 Tagen werde ich mit einem Großteil meines Gepäcks ins Kinderheim gefahren. Ich habe vor, die meiste Zeit dort zu verbringen mit dem Ziel, das Heimpersonal etwas zu unterstützen. Ein holpriger, unbefestigter Weg zweigt von der Hauptstraße ab zum Dorf „El Canon“, wo sich das Heim befindet. Am Wegrand stehen ärmliche Hütten. Carolina kündigt unsere Ankunft, wie dort üblich, durch lautes Gehupe an, worauf das Tor zum Heim von dem Wächter Juan geöffnet wird. Die Kinder begrüßen und bestürmen mich, fragen natürlich auch nach Geschenken .Aber es gibt auch manche, die eher zurückhaltend sind und mich erst einmal aus einem gewissen Abstand betrachten. Die Heimleiterin Maria José zeigt mir mein Zimmer. Es ist spärlich eingerichtet – aber immerhin ein eigenes Zimmer! Dies wird jetzt also für die kommenden 3 Monate mein Zuhause sein. Zu-nächst steht für mich natürlich erst einmal das Kennenlernen der Kinder und des Personals auf dem Programm. Anfangs fühle ich mich etwas unsicher. So viele neue Eindrücke stürmen auf mich ein. Zudem muss ich zuerst herausfinden, wie der Tag im Heim strukturiert ist, welche Aufgaben anfallen und wo ich das Heimpersonal am besten unterstützen kann. Zum anderen bereitet mir die spanische Sprache anfangs Schwierigkeiten. Ein Volkshochschulkurs und ein paar Einzelstunden im Voraus sind ja nicht gerade viel. Es frustriert mich, wenn ein Kind mir irgendetwas erzählen will und ich nicht viel davon verstehen kann. Hinzu kommt das Heimweh, das mich immer wieder plagt. Ich bin ganz froh, als mein Handy endlich funktioniert und ich mit ein paar vertrauten Stimmen aus Deutschland sprechen kann. Aber im Laufe der Zeit legen sich diese anfänglichen Schwierigkeiten. Die älteren Kinder sind sehr bemüht, langsam mit mir zu sprechen und ein bisschen Spanisch mit mir zu lernen. Meine Sprachkenntnisse verbessern sich recht schnell.

Ein Tag im Heim sieht für mich so aus: Mein Wecker klingelt um 6.30 Uhr. Meist bin ich aber vorher wach, da die älteren Kinder schon mit der allmorgendlichen Duschzeremonie begonnen haben. Von meinem Zimmer gehe ich direkt in den Schlafraum der 9 Kleinsten, davon 6 Wickelkinder, und helfe beim Baden, Wickeln und Anziehen. Es wird von den Erzieherinnen sehr viel Wert auf Körperhygiene gelegt. Die Kinder duschen sich jeden Morgen und kleiden sich neu ein. Es dauert seine Zeit, bis alle Kinder geduscht und gekämmt beim Frühstück sitzen. Nach dem Frühstück geht ein Teil der Kinder in die angrenzende Martin- Luther- King- Schule. Dann wird es ruhiger im Heim und es bleibt Zeit zum Spielen, Malen oder Basteln mit den Kindern. Außerdem fallen natürlich jede Menge pflegerische Tätigkeiten an, z.B. Berge von Wäsche aufhängen, Betten frisch beziehen, Kleiderschränke aufräumen, Boden wischen usw. . Hier werden die Kinder miteinbezogen und lernen so, Mitverantwortung zu übernehmen. Nach dem Mittagessen beginnt für die ältesten Heimkinder der Nachmittagsunterricht. Für die anderen Kinder ist Mittagsruhe, d.h. die Kinder halten sich in ihren Zimmern auf. Danach werden Hausaufgaben gemacht. Vor dem Abendessen dürfen die Kinder fernsehen. Danach treffen sich die Kinder zur Abendandacht.                                               

An den Abenden wird gespielt und über den Tag geredet. Gegen 18 Uhr ist es bereits dunkel und alle sind müde und geschafft von dem meist heißen und anstrengenden Tag. Die Kleinen gehen um 19 Uhr schlafen. Um 19:30 setzten sich die großen Kinder mit der Erzieherin zusammen um gemeinsam zu singen, zu beten und über den vergangenen Tag zu reden. Um 20 Uhr gehen sie schlafen.

Danach sitzen die Erzieher oft noch ein wenig zusammen und unterhalten sich, wofür sie am Tag kaum Zeit haben.

Um 21 Uhr ist es mucksmäuschenstill im Kinderheim und alle tanken Kraft für den nächsten Tag.

Die Wochenenden laufen anders ab, da keine Schule ist und auch andere Erzieher da sind, als unter der Woche. Es ist nicht alles so strukturiert und die Kinder toben sich ein wenig aus von ihrem strengen, aber pädagogisch auch sinnvollen Wochenplan.

Ich habe die Zeit sehr genossen und viel von den Kindern gelernt. Es sind alles kleine Kämpfer, die alle unterschiedlich schlimme Schicksalsschläge hinter sich haben. Ihnen allen fehlt eine Mama, die sie in den Arm nimmt und ihnen sagt, dass sie sie liebt. Aber wenn man als Freiwilliger in dieses Heim geht, egal für wie lange, kann man ihnen dieses Bedürfnis ein Stück weit schenken. Was sie einem mit ihrem Lächeln zurückgeben, ist so viel wert und wird mich mein ganzes Leben lang begleiten.