Es braucht nicht sehr viel, um Kinder und Jugendliche glücklich zu machen

Im August 2013 war es soweit. Nach Abschluss meines Studiums der Sozialen Arbeit machte ich mich mit viel Spannung und Neugierde im Gepäck auf nach Nicaragua, dem zweitärmsten Land Lateinamerikas, um vier Monate im Kinderheim „Puente de Amistad“ zu verbringen.   

Bereits bei meiner Ankunft war ich schockiert von den Lebensumständen der Menschen dort und schnell wurde mir klar, dass ich die nächsten vier Monate in einer vollkommen anderen Lebenswelt verbringen werde. Ich wurde von Carolina am Flughafen abgeholt. Auf dem Weg zum Heim fuhren wir an einfachen Wellblechhütten vorbei. An den Straßenkreuzungen und Ampeln putzten Kinder Windschutzscheiben und verkauften Süßigkeiten.

Sehr erfreut war ich über die fröhliche, heitere und losgelöste Stimmung der Kinder und Ju-gendlichen sowie der Betreuerinnen bei meiner Ankunft im Heim. Ich wurde sehr herzlich aufgenommen, sodass ich mich bereits nach wenigen Tagen wie zu Hause gefühlt habe. Im Heim herrscht eine sehr angenehme und harmonische Atmosphäre. Man fühlt sich wie in einer großen Familie, in der Liebe und Zuwendung, Fröhlichkeit und Lebensfreude sehr groß geschrieben werden. 

Auch an die einfachen Lebensumstände habe ich mich erstaunlich schnell gewöhnt. Schon in der zweiten Woche war die kalte Dusche zur Gewohnheit geworden und auch das „Gallo Pin-to“ („gefleckter Hahn“, das Nationalgericht bestehend aus Reis und roten Bohnen) war aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken.

Mein Tag ging um sechs Uhr morgens los. Da die Kinder in der Regel zwischen halb 6 und 6 aufstehen und das Heim somit sehr früh zum Leben erweckt, war ein Wecker wider Erwarten nicht nötig. Meine erste morgendliche Aufgabe war es, Alicia zu helfen, die Kleinsten (fünf- bis achtjährige) anzuziehen und ihnen das Frühstück zu richten. Nach dem Frühstück habe ich die Kinder gemeinsam mit Alicia in die wenige Meter entfernte Martin-Luther-King-Schule gebracht. Der Vormittag verlief dann in der Regel recht ruhig. Die Kinder und Jugendlichen, die nachmittags Unterricht haben, machen ihre Schulaufgaben und Putzdienste. Auch ich half am Vormittag den Betreuerinnen mit der Wäsche, beim Betten beziehen, beim Putzen der Küche oder anderen Haushaltsaufgaben. Natürlich blieb oftmals anschließend noch Zeit zum Spielen und Basteln mit den Kindern und Jugendlichen. 

Über den Nachmittag hinweg half ich erneut Alicia mit den Kleinsten. Zunächst werden Hausaufgaben und „reforzamientos“ (Förderaufgaben) gemacht und anschließend wird auch hier wieder gespielt. 

Nach dem Abendessen wird es recht schnell ruhig im Heim. Die Kinder und Jugendlichen ziehen sich in die jeweiligen Gebäude, in denen sie untergebracht sind, zurück. Ich brachte abends in der Regel die Kleinen ins Bett und half anschließend Alicia noch beim Richten der Schuluniformen und beim Putzen der Schuhe für die Schule am nächsten Tag. Gegen 20 Uhr ging dann auch ich hoch in das Gebäude, in dem ich gemeinsam mit den „medianos“ (neun- bis vierzehnjährige Jungs) lebte. 

Dort verbrachte ich noch eine weitere Stunde damit, mit „meinen Jungs“ etwas zu spielen oder Fernseher zu schauen. Manchmal haben wir uns auch mit den älteren Jungs von oben und den beiden Betreuerinnen der Jungengruppen zusammengesetzt und uns unterhalten. Gegen 21 Uhr gehen die Kinder dann nach und nach ins Bett und spätestens um 22 Uhr ist es schließlich mucksmäuschenstill im ganzen Heim.

Neben der Betreuung der Kinder im Heim, gehörte es zu meinen Aufgaben den Pastor bei seiner Arbeit mit den Familien zu unterstützen. Monatlich werden ca. 50 bedürftige Familien mit Lebensmitteln versorgt. So half ich die Lebensmittelsäcke bestehend aus einem Sack Reis, einem Sack Bohnen, Kaffee, Zucker, Salz, Waschpulver, Klopapier, etc. zu packen, um sie anschließend gemeinsam mit dem Pastor in Managua an die Familien zu verteilen. 

Aufgrund meines abgeschlossenen Hochschulstudiums der Sozialen Arbeit haben mich die Frauen im Heim außerdem gebeten, sie bei der Arbeit mit den Familien innerhalb der „comu-nidad“ zu unterstützen. Auch hier stand mir der Pastor zur Seite und gemeinsam besuchten wir die Familien einiger Kinder zu Hause, um die Lebensumstände der Familien zu erkunden und Hilfen anzubieten. Durch die unbeschwerte, glückliche Art der Kinder im Heim vergisst man recht schnell, aus welchen Verhältnissen sie ursprünglich stammen und was für eine Vergangenheit sie haben. Die Familienbesuche haben mir dies wieder ins Gedächtnis gerufen. Nicht selten müssen die Mütter ihre Kinder alleine durchbringen, da der Vater die Familie verlassen hat. Viele der Familien wohnen in einfachen Wellblechhütten. Ein einziger Raum dient als Küche und Schlafplatz. Mehrere Personen teilen sich ein Bett, oft schlafen vier bis fünf Personen in einem Raum. In Nicaragua sind solche Lebensbedingungen Normalität. Ne-ben dem Familienzusammenhalt hat mich bei den Gesprächen mit den Familienangehörigen insbesondere beeindruckt, mit welcher Kraft und Zuversicht – welche sie aus ihrem Glaube an Gott schöpften – diese Menschen ihr Leben bewältigen. 

Glaube wird auch im Heim sehr groß geschrieben. Dreimal die Woche (dienstags, freitags und sonntags) finden Gottesdienste in der gegenüberliegenden Kirche statt. Hier ist jedes Mal zu spüren, wie dankbar die Kinder und Jugendlichen des Heims dafür sind, der größten Armut und einem Leben auf der Straße entkommen zu sein und zur Schule gehen zu können. Im Heim wird den Kindern viel Liebe und Zuwendung gegeben. Auch diese geben die Kinder und Jugendlichen ihren Betreuerinnen mit großer Dankbarkeit auf gleiche Weise zurück. Sie wissen ihr Glück, im Kinderheim „Puente de Amistad“ aufwachsen und leben zu können, sehr zu schätzen und bringen außerdem viel Ehrgeiz und Wille auf, die Chance, die ihnen hier ge-boten wird, zu nutzen. 

Und auch die Betreuerinnen und Psychologinnen im Heim sind dankbar dafür, eine Arbeitsstelle wie diese haben zu dürfen. Deshalb nutzt der Pastor die Gottesdienste immer wieder auch, seinen Freunden in Ettlingen zu gedenken, darauf aufmerksam zu machen, dass sie der „Freundschaftsbrücke“ vieles zu verdanken haben und um ihnen ihrer aller Dank auszusprechen. 

Die Zeit, die ich im Kinderheim „Puente de Amistad“ verbracht habe, habe ich sehr genossen. Um viele Erfahrungen und Erkenntnisse reicher kehrte ich nach vier spannenden, erlebnisrei-chen und vor allem unvergesslichen Monaten im Kinderheim „Puente de Amistad“ an Heilig-abend zurück nach Deutschland. Für mich war es das erste Mal, dass ich eine solch große Reise angetreten bin. Ich habe dort eine andere Kultur kennenlernen dürfen, hatte zahlreiche unvergessliche Erlebnisse, die mein weiteres Leben prägen werden. Ich habe in den letzten Monaten erkannt und gespürt, was das Wesentliche im Leben ist. Die Kinder und Jugendliche im Heim „Puente de Amistad“ haben mir gezeigt, die Welt mit anderen Augen zu sehen. Es braucht wirklich nicht viel, um Kinder und Jugendliche glücklich zu machen. Ein Dach über dem Kopf, ausreichende Ernährung, die Möglichkeit eine Schule besuchen zu können und vor allem Zuwendung und Liebe reichen vollkommen aus. Und das Lächeln und die Dankbarkeit dieser Kinder und Jugendlichen für die Aufmerksamkeit, Zuneigung und Liebe, die man ihnen schenkt, ist mehr wert als alles andere. 

Bei meinem Abschied habe ich das Versprechen abgegeben, meine nicaraguanischen Freunde im Kinderheim „Puente de Amistad“ wieder zu besuchen. 

Nicaragua und insbesondere das Kinderheim „Puente de Amistad“ sind eine solche Reise sicherlich wert. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, dass es sich lohnt dieses Kinderheim zu unterstützen. Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Heims und insbesondere der Pastor leisten wirklich eine beeindruckende Arbeit. Die Lebensfreude, Leidenschaft und Hingabe, mit der sie arbeiten, ist im ganzen Heim zu spüren.