Freiwilligendienst im Kinderheim „puente de amistad“ – Sophia Vischer (2015)

Durch meinen dreimonatigen Freiwilligendienst im Kinderheim der Freundschaftsbrücke Nicaragua konnte ich ein völlig anderes Leben in einer anderen Kultur kennenlernen. Am Anfang war es sehr schwierig für mich den ganzen Tag nur spanisch zu sprechen und mich an das „einfachere“ Leben dort zu gewöhnen. 

Zunächst war es für mich sehr überraschend, bereits um halb sechs Uhr morgens aufzuwachen und auf fröhliche Kinder und Jugendliche zu treffen, die auch schon fleißig den Wischmopp schwangen und teilweise auch in der Küche beim Frühstückmachen mithalfen, selbst wenn sie nicht zur Mithilfe zugeteilt waren. Ich habe selbst auch sehr viel in der Küche mitgeholfen, da beim Kochen für schätzungsweise 60-80 Personen während der Schulzeit immer genug Hilfe benötigt wurde, um das Gemüse zu schnippeln, das es in einer Suppe oder mit Fleisch zum Reis gab. Landestypisch wurde im Heim eigentlich jeden Tag dreimal Reis gegessen oder „gallo pinto“, das Nationalgericht, welches aus Reis mit roten Bohnen besteht. Es gab auch gelegentlich Spaghetti und vor allem auch viel Tortillas, deren Zubereitung mir immer viel Spaß machte.  Nach dem Frühstück habe ich die Jüngsten (5 bis 8 Jahre alt) zur Schule gebracht und sie mittags wieder abgeholt. Nachmittags gab es immer Hausaufgaben und Extraaufgaben sowie zusätzlichen Unterricht. Die Jüngsten erhielten Unterricht in gutem Benehmen und kreativen Unterricht, wo sie Spiele spielten und bastelten. Außerdem hatten sie wie auch die Jugendlichen Musik- und Englischunterricht. Die Schulbildung wird im Heim sehr gefördert, auch Kinder aus der Gemeinde bekommen Mittagessen und dürfen mit den Heimkindern am Unterricht teilnehmen, mit ihnen spielen und Hausaufgaben machen. Auch wenn die Schulbildung nicht an das Niveau der unseren heranreicht, so wird doch Einiges getan, die  Jugendlichen zu fördern und in zusätzlichen Kursen ihr Englisch zu verbessern. 

Neben dem Leben im Heim konnte ich auch Weihnachten und Silvester in Nicaragua kennenlernen. Wie bei uns gab es auch dort zu Weihnachten ein traditionelles und aufwändigeres Essen. Reis gab es trotzdem, allerdings verfeinert mit Gemüse und dazu ein gefülltes Huhn, Salat und Cola. Für die Kinder war es etwas Besonderes auch mal Cola trinken zu können und nicht nur Wasser und die leckeren Fruchtlimonaden, die es jeden Tag selbstgemacht zum Mittagessen gibt. Neben dem Essen gibt es jedoch an Weihnachten wenige Traditionen. So gab es abends noch ein Lagerfeuer, was ich persönlich sehr schön fand. Es konnten alle beisammen sitzen, Musik hören, sich unterhalten und auch ein bisschen tanzen. Somit hatte auch der Abend etwas Besinnliches und Schönes, wie es sich für Weihnachten gehört. Es wurden auch schon an Weihnachten Wunderkerzen für die Jüngeren gekauft und es gab auch Jugendliche aus der Gemeinde, die bereits schon an Weihnachten ein Feuerwerk veranstalteten. 

Einen Gottesdienst haben wir an Weihnachten selbst nicht besucht, jedoch gibt es jede Woche dreimal Gottesdienst und abendliche Bibelstunden, in denen über ein Thema oder ein Bibeltext gesprochen wird. Der Glauben ist für viele Nicaraguaner sehr wichtig, da er ihnen die Hoffnung gibt und die Kraft, ihr Leben, auch wenn es noch so schwer sein mag, weiterzuführen. Sie alle vertrauen darauf, dass ihnen in jeder Notsituation geholfen wird und sie nie alleine sind. Es ist wundervoll zu sehen, wie fröhlich und gläubig die Menschen sind, trotz der schwierigen Lebensumstände. Ich hatte die Möglichkeit mit vielen Familien aus der Gemeinde zu sprechen, ihr Zuhause kennenzulernen und viele haben auch im Gottesdienst über sich selbst und ihre Erfahrungen mit dem Glauben berichtet. Für mich war vieles erschreckend, besonders die Wohnsituationen vieler Familien. Eine kleine Wellblechhütte aus nur einem Raum, ohne Bad und Toilette, Hühner im Schlafzimmer und das Kochen über einer Feuerstelle. Dennoch hatten viele Familien einen Fernseher, meistens fließendes Wasser und Strom. 

An Silvester hatten dann auch einige Jugendliche aus dem Heim mit ihrem Taschengeld ein paar Silvesterkracher gekauft, sodass wir ein kleines Feuerwerk nach dem gemeinsamen Essen machen konnten. Außerdem gab es dann noch eine kleine Wasserbombenschlacht und um Mitternacht wurde traditionell eine Puppe, die die Jungs vormittags gemacht hatten, verbrannt.

Kurz nach Beginn des neuen Jahres hieß es dann für mich nach 3 Monaten Abschied nehmen. Es ist mir nicht leicht gefallen, da man sich bei längerem Miteinanderwohnen und -leben sehr aneinander gewöhnt. Ich fand es unglaublich schön, morgens mit den Kindern aufstehen zu können, ihnen beim Fertigmachen für die Schule zu helfen, mit ihnen Kindersendungen und Filme auf Spanisch anzuschauen, mit ihnen zu spielen und dabei viel Spaß zu haben. 

Ich konnte viel über das Leben in einem Heim lernen, vor allem wie unterschiedlich Menschen damit umgehen können, in einem Heim zu leben. Alle haben sich nach einer Eingewöhnungsphase sehr wohl gefühlt, aber einige haben dennoch  ihre Familien sehr vermisst und andere weniger. Für mich ist es auch jetzt noch unvorstellbar, wie schlimm es sein muss, seine Eltern zu verlieren oder nicht gut von ihnen behandelt worden sein. Im Heim konnten zum Glück auch Kinder mit einer schlimmen Vergangenheit Zuneigung finden und die Betreuer als wichtige Bezugspersonen akzeptieren und schätzen. Besonders für die Kleinen waren die Betreuerinnen so etwas wie eine Mutter und auch ich wurde bei einigen als solche betitelt und wertgeschätzt. 

Nicht nur von den Kindern sondern auch von vielen anderen wurde ich gefragt wie das Leben in Deutschland ist, ob es besser sei. Ich habe viel darüber nachgedacht, vor allem worin die großen Unterschiede in einem Leben hier und einem Leben dort bestehen. Vermutlich würden viele sagen, dass das Leben in Deutschland doch um vieles besser sei, aber die Zeit dort hat mir gezeigt, dass zwar unser Lebensstandard höher ist und das Leben einfacher sein kann, aber ob das Leben allein dadurch glücklicher und fröhlicher verläuft, ist fragwürdig. 

Ich denke, man kann das Leben in Deutschland mit dem in Nicaragua schlecht vergleichen, da das Leben dort ohne die monatliche Hilfe von vielen Organisationen auch kaum möglich wäre. Deshalb finde ich es auch wirklich toll, dass es Organisationen wie die Freundschaftsbrücke Nicaragua gibt, die sich mit viel Engagement jeden Tag Gedanken machen und Spenden sammeln, um das dortige Leben zu verbessern. Ohne das Heim und die Schulen würden viele Kinder kein schönes Zuhause und keine Bildung erhalten können, ebenso keine warmen gesunden Mahlzeiten. Nicht nur den Kindern wird geholfen, sondern auch viele Familien erhalten jeden Monat Lebensmittelpakete, die der Pastor Josué mit seiner Frau und hilfsbereiten Jugendlichen vorbereitet, die ihnen ermöglichen, mit ihrem geringen Einkommen die Familie zu ernähren. Alle Familien haben sich stets für die Hilfe, die ihnen gegeben wird, bedankt und man hat ihnen angemerkt, wie froh sie über diese Hilfe sind. 

Obwohl der Lebensstandard nicht mit dem unseren vergleichbar ist, ist das Leben dort sehr schön und vor allem sehr harmonisch. Ich habe mich sofort in die Kultur und die Freundlichkeit der Nicaraguaner verliebt. Das Leben läuft dort in einer Gemeinschaft ab, in der man sich gegenseitig  hilft und immer freundlich und mit Respekt begegnet. Auch ich als Nichteinheimische wurde immer sehr gut behandelt, auch wenn ich besonders am Anfang noch Probleme hatte, mich mit ihnen auf Spanisch zu unterhalten. Ich habe dort den Umgang untereinander erfahren, den man sich immer wünscht, aber der hier bei uns oftmals wegen Konkurrenzkampf und Neid nicht möglich ist. 

Bereits während meiner ersten Woche wurde ich von allen Kindern und Jugendlichen aus dem Kinderheim und dem Übergangshaus mit Fragen durchlöchert. Da sie nicht wie wir die Möglichkeiten haben, fremde Länder zu bereisen und vieles, was für uns alltäglich ist, nicht kennen, möchten sie viel darüber erfahren. Ich wurde auch oft gefragt, wie es ist Schnee zu haben und einen Schneemann zu bauen, oder wie es ist in einem Flugzeug zu sitzen und was man vom Himmel aus sieht. Für mich war es etwas völlig Neues, solche alltäglichen Dinge zu beschreiben. Generell war es schön zu sehen, wie wissbegierig die Kinder sind und wie glücklich die Menschen selbst mit einem kleinen Geschenk, wie zum Beispiel etwas Süßem sind. 

Ich selbst bin sehr dankbar, dass mir die Freundschaftsbrücke Nicaragua die Möglichkeit gegeben hat diese Menschen, das Land und deren Kultur kennenzulernen. Ich finde es bewundernswert, wie die Nicaraguaner ihr Leben meistern und wie sehr sich der Verein für sie einsetzt. Ich bin auch jetzt noch sehr froh die Möglichkeit gehabt zu haben ein Teil dieser Gemeinschaft und dieser Brücke zwischen Deutschland und Nicaragua gewesen zu sein, die für einander da ist. Die Brücke ist nicht nur eine finanzielle Brücke, sondern auch eine der Freundschaft, des Respekts und der Gemeinschaft. Ich kann jedem nur empfehlen auch einmal selbst nach Nicaragua zu reisen, um die Menschen und das Werk des Vereins kennenzulernen und weiß auch jetzt schon, dass diese Reise zwar meine erste nach Nicaragua war, aber nicht meine letzte sein wird.