Gustav Krebs: Bericht Nicaragua Dezember2016 / Februar2017

Am 5.12. war es soweit. Spät abends kam ich in Nicaragua an, wurde am Flughafen von der Heimleiterin Carolina abgeholt und in mein Zimmer im Waisenhaus („Hogar“) gebracht. Schon auf dem Weg konnte ich erahnen, wie anders hier alles aussah. Mein Zimmer im Haus mit den kleinsten Kindern war aber sehr schön und groß.

Am nächsten Morgen wurde ich, wie ab jetzt jeden Tag, von den Kindern früh morgens vor der Tür geweckt, die alle große Augen machten und sehr neugierig waren, als ich zum ersten Mal aus meinem Zimmer rausging.  Da mein Spanisch zu dem Zeitpunkt noch nicht so gut war, konnte ich leider nur wenige der vielen Fragen beantworten. Nach einem ersten guten Frühstück wurde ich zur Psicóloga Cinthya geführt, die mir ein bisschen erzählte und fragte, was ich gerne während meiner Zeit hier machen wolle. Zu der Zeit war das Problem, dass ich noch nicht wusste, was möglich war, so dass ich, auch wegen meines Spanisch, wenig sagen konnte. 

In den ersten drei Wochen fand ich immer besser in das Leben im Hogar hinein. Das war gar nicht so einfach, da ich alles erfragen musste und mir keine allgemeine Einführung gegeben wurde: Von den Tagesabläufen, wann es die drei Mahlzeiten gibt, warum nicht alle zusammen, sondern Mädchen und Jungs getrennt essen, wann feste Aktivitäten sind, wann der Gottesdienst in der Kirche oder der Englischunterricht ist, wann Freizeit ist und wann gearbeitet werden muss und wie ich in all das reinpassen und vielleicht helfen kann. So hat es zum Beispiel einige Tage gedauert, bis ich herausfand, dass gerade Ferien sind und diese noch bis Anfang Februar gingen. Auch an ganz praktische Dinge, wie die Kleider per Hand zu waschen, musste ich mich erst gewöhnen. Geholfen hat mir bei alldem Jonna, eine deutsche Freiwillige, die die ersten drei Wochen im Hogar war.

In den ersten Wochen haben wir immer wieder mit den „Niños“ (bis 12 Jährige) gebastelt und gemalt oder mit den älteren Mädchen Spiele hergestellt und gespielt. Highlights waren auch die den ganzen Dezember über stattfindenden „Actividades“, bei denen meistens amerikanische kirchliche Organisationen mit Geschenken, „Piñatas“ und außerdem Kuchen, Pizza oder Coca Cola, was auch sehr außergewöhnlich war, kamen. An das tägliche Essen, das es sonst gab, musste ich mich etwas  gewöhnen. Ich war zwar vorbereitet, dass es viel Reis mit Bohnen, „Gallo Pinto“, geben würde, aber mit so viel hatte ich nicht gerechnet. Interessant war wiederum, dass die Meisten aus dem Hogar auch wirklich Gallo Pinto lieber aßen, als zum Beispiel Nudeln, obwohl sie jeden Tag Reis und so gut wie jeden Tag Bohnen bekamen.  

Bis ins neue Jahr gab es für mich keinen wirklich geregelten Tagesablauf, so dass es viel freie Zeit zum selber gestalten gab. Stundenlange Monopoly, Fußball und Basketball Spiele mit den älteren Jungen waren da nichts Besonderes. Als ich ankam, dachte ich, dass es dort eine schon vorhergesehene feste Aufgabe für mich gibt, die ich, sobald ich ankomme, anfangen kann. Dass es nicht so ist, war mir schon nach einigen Tagen klar. Das Schwierigste für mich war deswegen, eine Beschäftigung zu finden, die hilfreich ist, die ich ausführen kann und die nicht nur ein einmaliges Helfen für einen Tag ist. Es war das erste Mal für mich, dass ich mir selbständig in einem fremden Land, dessen Sprache ich kaum spreche, in einer anderen Kultur und relativ unbekannten Verhältnissen etwas überlegen musste, was meinen Aufenthalt dort sinnvoll macht. Während der ganzen Zeit war es unglaublich hilfreich, wie freundlich ich von allen aufgenommen wurde, wie sehr mir bei allem Anfang geholfen wurde, besonders beim Spanisch lernen, und wie schnell ich Freunde gefunden habe. 

Weihnachten zum ersten Mal nicht zuhause zu verbringen, war auch sehr besonders. Die „große Feier“ fand zum Beispiel am 23. Dezember abends und nicht wie bei uns üblich am 24. statt. Diese war aber sehr schön! Das Essen war besonders, es wurden Tänze aufgeführt und natürlich gab es auch Geschenke. Am 24. Dezember waren dann nur noch die Kinder da, die dauerhaft im Hogar wohnen, und die, die normalerweise nur tagsüber kommen und zuhause schlafen, haben die nächsten Tage mit ihren Familien verbracht.

Zu Beginn des neuen Jahres wurde auch mein Tagesablauf etwas geregelter. Ich habe immer Montag bis  Mittwoch im Englischunterricht geholfen und war donnerstags im Musikunterricht dabei. Schön zu sehen war, dass einigen großen Jungs der Englischunterricht nicht gereicht hat und sie mich gebeten haben, noch mehr und über den Unterricht hinaus zu erklären.  

Anfang Januar haben wir alle zusammen einen großen Ausflug zum Meer machen können. Wir waren einen Tag in Carolinas Ferienhaus am Strand und konnten den ganzen Tag am Pazifikstrand verbringen. Für viele der Kinder war es sehr besonders, da sie nur sehr selten so etwas erleben können. 

Kurz vor Beginn der Schulzeit bekam ich die Gelegenheit, die Häuser der Familien einiger Kinder, die nur tagsüber im Hogar sind, zu besuchen. Das war eines der Erlebnisse, die mich am meisten beeindruckt haben! Mit wie wenig die Familien dort auskommen, kann man sich kaum vorstellen. Zu acht in einem Haus zu wohnen, das aus einem einzigen Raum besteht, ist keine Besonderheit. Auch haben viele „Häuser“ keine gebauten Wände, sondern nur Planen an Holzstangen befestigt und die wenigsten haben etwas wie einen Boden außer der nackten Erde. Umso beeindruckender ist es, wie glücklich die Kinder sind. Während meines Aufenthalts war ich fast die ganze Zeit von fröhlichen Kindergeräuschen umgeben, und wenn sich unsere Blicke trafen, haben die Kinder mich breit angelächelt. Die Fröhlichkeit der Menschen, denen ich in Nicaragua begegnet bin, ist einer meiner stärksten Eindrücke. 

Ein weiterer Höhepunkt war für mich mein Geburtstag, als sich überraschenderweise der ganze Hogar versammelte, für mich ein Geburtstagslied sang, es eine riesige Torte gab, der ganze Raum mit Luftballons geschmückt war und ich sogar einige Geschenke bekommen habe. 

Als dann Anfang Februar die Schule wieder losging, waren die meisten Kinder von morgens sehr früh bis mittags um zwei Uhr in der Schule. Andere hatten am Nachmittag Schule. Ich hatte deswegen für den Morgen eine neue Beschäftigung gesucht und mit der Schreinerei eine gefunden. Auf dem Gelände des Waisenhauses gibt es eine Schreinerei, in der ein älterer Herr arbeitet und Möbel wie Stühle oder Sofas für den Hogar baut und repariert, aber auch für die Comunidad, die Gemeinde, immer wieder sehr günstig arbeitet. Auch schon davor habe ich ab und zu mit den Jungs geholfen, aber ab der Schulzeit habe ich jeden Morgen dort Stühle flechten und bemalen und Bretter bearbeiten können, was auch viel Spaß gemacht hat. Nachmittags habe ich weiterhin im Englischunterricht geholfen und konnte auch bei den Hausaufgaben unterstützen. 

Ende Februar kam dann der schwere Abschied. Nach drei Monaten habe ich viele neue Freunde gefunden, die ich nun leider schon wieder verlassen musste. Es war eine tolle Erfahrung und auch wenn es nicht immer leicht war, würde ich es auf jeden Fall wieder machen. Vielleicht kommt ja so eine Gelegenheit nochmal…