Rundbrief November 2020

Liebe Freundinnen und Freunde der Freundschaftsbrücke,

nun wenden wir uns schon zum dritten Mal in diesem Jahr auf diesem Weg an Sie und leider sind es wieder schlechte Nachrichten, die unsere Partner in Nicaragua und uns hier tief erschüttern.

Die Entwicklung der politischen Lage im Land hin zu einer Diktatur konnten wir über die letzten Jahre hautnah verfolgen. Diese wurde von der sandinistischen Regierung systematisch betrieben. Dabei sind wir besonders schockiert über die Wandlung des „Hoffnungsträgers“ Daniel Ortega, der offensichtlich alle seine vormals guten Ziele und Absichten vergessen hat. Was uns hart trifft, ist eine neue Strategie der Regierung, die daraufhin abzielt, die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) zu behindern, denn diese könnten schließlich politischen Einfluss nehmen! In diesem Zusammenhang musste sich Carolina Alguera, die Leiterin unserer Projekte, als „ausländische Agentin“ registrieren lassen. Welche Auswirkungen das für sie haben wird, werden wir sehen.

Wie Sie vielleicht aus unseren Berichten in der lokalen Presse und einer Mail im September wissen, hat sich Ende August im Kinderheim ein zwölfjähriger Junge das Leben genommen. Er war in seiner frühen Kindheit massiv misshandelt und traumatisiert worden. Die dadurch verursachten psychischen Probleme und auch die von ihm geäußerten Selbsttötungswünsche waren den Behörden seit vielen Monaten bekannt, ohne dass irgendwelche Maßnahmen zur sicheren Unterbringung des Jugendlichen ergriffen worden wären. Unser Heim, in dem die Kinder familiär in Wohngruppen mit relativ großen Freiheiten leben, ist für die Überwachung von selbstmordgefährdeten Kindern und Jugendlichen nicht ausgestattet.

Dieses höchst tragische und schreckliche Ereingnis nahm das Familienministerium zum Anlass, das Kinder-heim, das jahrelang von eben dieser Behörde als vorbildlich gepriesen und ausgezeichnet worden war, von einem Tag auf den anderen zu schließen. Unsere Kinder und Jugendlichen wurden z.T. in ihre Familien oder zu nahen Verwandten zurück gebracht, der größte Teil wurde jedoch willkürlich in andere Heime verteilt. In den letzten Wochen sind mehrere Jugendliche aus diesen Heimen ausgerissen und haben sich in ihrem Heim Puente de Amistad gemeldet, in der leider vergeblichen Hoffnung, wieder da leben zu dürfen, wo sie sich wohl und zu Hause fühlten. Sie können sich das Drama ihrer behördlichen Rückführung vorstellen!

Seither wird verzweifelt versucht, die Schließung des Heims rückgängig zu machen. Es läuft eine nervenzehrende Hängepartie aus Hoffen und Bangen, Einsprüchen, Petitionen, Protesten der Bevölkerung für die Wiedereröffnung des Heimes, hinhaltenden Versprechungen von Amtsträgern und immer wieder Verstreichenlassen von gesetzlichen Fristen, was unsere Partner vor Ort allmählich zermürbt. Die Regierung hätte aufgrund der Gesetzeslage bis Mitte Oktober mitteilen müssen, ob sie die Schließung des Heims durch das Familienministeriums billigt oder widerruft. Das ist trotz mehrfacher Ankündigung bisher nicht geschehen.

Unsere nordamerikanischen Mitunterstützer von OrphaNetwork, die erhebliche Zuschüsse zu den Gehältern und Nahrungsmitteln leisteten, haben nun offenbar auch den finanziellen Rückzug aus der Unterstützung des Heims angetreten. Folge ist die Entlassung fast aller Mitarbeiter des Heims zum Ende Oktober: tragisch in einer Situation, wo praktisch keine Arbeitsplätze angeboten werden, in einem Land, in dem außer der Miss-wirtschaft der Regierung auch die Pandemie drastischen Folgen hat.

Doch es kommt noch schlimmer. Allen Angestellten steht für jedes Arbeitsjahr am Arbeitsplatz ein Monatslohn als Abfindung zu, egal wie die Kündigung zustande kam. Das haben wir bisher bei einzelnen Kündigungen aus dem laufenden Spendenaufkommen begleichen können. Nun aber über ein Dutzend Mitarbeiter mit teilweise langjähriger Projektzugehörigkeit abzufinden, stellt uns vor ein großes Problem. Aber: Ohne Abfindung droht den meisten der ehemaligen Mitarbeiter die Mittellosigkeit.

Es ist uns einerseits klar, dass wir über die Jahre anders hätten wirtschaften müssen, spätestens ab dem Zeitpunkt als uns bekannt wurde, dass in Nicaragua keine Rücklagen für die Abfindung der Mitarbeiter gebildet werden konnten, da sonst deren Löhne noch geringer gewesen wären. Andererseits war für uns eine solche Situation wie die jetzige dermaßen jenseits aller Vorstellungskraft, dass wir eine Zurückhaltung von so beträchtlichen Spendensummen nicht für verhältnismäßig erachteten. Wir wollen nun versuchen, so viele Mittel wie möglich aufzubringen, um die bisherigen Angestellten vor den schlimmsten Folgen des Arbeitsplatzverlustes zu schützen. Sie haben so wertvolle Arbeit für die Kinder und Jugendlichen geleistet und Besseres verdient. Deshalb bitten wir Sie herzlich, uns dabei großzügig zu unterstützen.

Doch nun zum Positiven:

Unsere drei Schulen in armen Gemeindevierteln laufen wie gewohnt (z.T. mit Fernunterricht) weiter und auch das Familienhilfsprojekt, in dem 57 äußerst arme Familien durch einen Lebensmittelsack unterstützt werden, solange ihre Kinder erfolgreich die Schule besuchen, geht weiter wie bisher. Einige der Ende Oktober gekündigten Mitarbeiter haben schon darum gebeten, vorübergehend, bis sie eine neue Arbeitsstelle gefunden haben, in dieses Projekt aufgenommen zu werden. Dies wollen wir so handhaben.

Neues aus der digitalen Welt, an der auch wir nicht vorbeigehen können:

1. Um näher an aktuellen Informationen zu sein, haben wir eine Facebook-Gruppe ins Leben gerufen, die Sie unter der folgenden Adresse besuchen können: www.facebook.com/groups/freudschaftsbrueckenicaragua/

2. Auch auf WhatsApp gibt es eine Gruppe, in der wir uns über aktuelle Ereignisse auf dem Laufenden halten. Wenn Sie uns Ihre Mobilnummer mitteilen, nehmen wir Sie darin gerne auf. ( Mitteilungen bitte an whanagarth@gmx.net )

Ganz aktuell:

Kurz nachdem dieser Brief fertiggestellt war, erfuhren wir, dass das Familienministerium eine Wiedereröffnung des Heims unter anderen Vorzeichen genehmigt: Die bisherigen externen Kinder und Jugendlichen, die morgens vor dem Frühstück kamen und erst abends zum Schlafen nach Hause gingen, dürfen wieder betreut werden. Zur Erinnerung: Diese Kinder und Jugendlichen kommen aus den ganz armen Familien im Canyon, wo z.T. die Eltern früh zur Arbeit aus dem Haus gehen und die Kinder sich alleine überlassen blieben. Sie erhielten Essen, besuchten unsere Schule unweit des Heims, wurden bei den Hausarbeiten unterstützt, konnten am zusätzlichen Englisch- und Computerunterricht im Heim teilnehmen, musizierten, tanzten, spielten, waren behütet.

Die Fortführung der Arbeit des Heims in diesem Sinne erscheint uns sehr wertvoll und wichtig. Bis zum Ende des Jahres läuft dies probeweise mit einer kleinen Gruppe von 14 Kindern, die diese Hilfe am dringenstens benötigen. Daher wurden die bisherige Heimleiterin und eine Erzieherin bei vermindertem Gehalt für zwei Monate wieder eingestellt. Mehr ist im Moment leider nicht möglich, weil uns die finanzielle Unterstützung von OrphaNetwork fehlt.

Glücklich und optimistisch begann die Arbeit mit dieser kleinen Gruppe am 9. November. Doch kurz danach zog der Hurrikan Iota mit Stärke 5, der zweite innerhalb einer Woche, über Mittelamerika hinweg und traf mit seiner zerstörerischen Kraft besonders Nicaragua hart. (Auch in den hiesigen Medien wurde darüber berichtet.) Wir hatten Glück im Unglück: Außer defekten Sicherungen und viel Wasser und Schlamm in den Räumen gab es keine größeren Schäden im Heim und auch nicht in den drei Schulen. Was mit den Be-hausungen der Familien des Familienprojekts geschehen ist, entzieht sich augenblicklich unserer Kenntnis. Wir wissen bis dato nur, dass das Häuschen einer ehemaligen Erzieherin von den Fluten weggespült wurde und sie mit ihrem kleinen Sohn bei den Nachbarn Unterschlupf fand. So trifft es leider immer die, die sowieso schon wenig haben!

ABER: Wir verlieren nicht den Glauben an die Zukunft unserer Projekte, denn wir wissen, wie wichtig Schulbesuch und Ausbildung für Kinder und Jugendliche sind. Daher hoffen wir, dass wir die Betreuung von wieder allen bisherigen Externen weiterführen können. Damit entstünden auch wieder einige Arbeitsplätze, von denen es so wenige in Nicaragua und speziell in El Cañon gibt. Das alles hängt aber wesentlich von der Wiederaufnahme der finanziellen Unterstützung durch OrphaNetwork ab. Diese Entscheidung kann dort jedoch erst Anfang Januar gefällt werden.

Kommen Sie gesund und trotz aller Widrigkeiten guter Dinge durch die aktuelle Krise.

Wir wünschen Ihnen schöne Festtage und ein gutes Jahr 2021. Bleiben Sie uns treu und unterstützen Sie uns bitte bei der Arbeit, die so viel Not lindert!

Mit freundlichen Grüßen

Barbara Onahor und Waltraud Klein-Hanagarth